«Schnipp, die Waffe war weg»

BERNER KÜNSTLERIN – Die Kulturmühle Lützelflüh zeigt vom 18. Oktober bis 3. November 2024 ein Kunstprojekt, das die Andersartigkeit von allem zelebriert. Die Berner Künstlerin Regula Stucki initiierte dafür eine Friedensdemonstration aus etwa 1000 Zinnsoldaten. Das Heer wurde von vielen Händen entwaffnet und kurzerhand in Hippies verwandelt.

(Bild: zVg) Eine lange farbenfrohe Reihe von ehemaligen Zinnsoldaten zieht entwaffnet und neu eingekleidet der Hoffnung vom Frieden entgegen.

«Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – …», schrieb einst der deutsche Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Regisseur Berthold Brecht. Ein ähnliches Szenario kreieren die Berner Künstlerin Regula Stucki, der Luzerner Kunstschaffende Oliver Lanz und seine Gestaltungsklassen vom Gymnasium Burgdorf an ihrer Gemeinschaftsausstellung in der Kulturmühle Lützelflüh. Sie nennen ihr Projekt im Mittelpunkt der alten Mühle, die Friedenskrieger. Eine lange farbenfrohe Reihe von ehemaligen Zinnsoldaten zieht entwaffnet und neu eingekleidet der Hoffnung vom Frieden entgegen. Doch wie schaffen es die entwaffnenden Zinnsoldaten ins Emmental? «Die Idee hat sich mir aufgedrängt», so Regula Stucki. «Es ist eigentlich bei jedem meiner Projekte so. Ich habe ein Material, das mich interessiert und wenn ich damit zu arbeiten beginne, entwickelt sich im Prozess eine neue Idee. Deshalb benötige ich in meinem künstlerischen Schaffen anfänglich weder Konzepte noch fixe Vorstellungen», stellt die Initiantin des Kunstprojektes vor. Von einer Bekannten erfuhr die innovative Kunstschaffende im Frühjahr 2022 von dem 9000-köpfigen Heer Zinnsoldaten, das auf einem Dachboden zusammen mit Stapeln von alten Zeitschriften schlummert. Ihr Schicksal war besiegelt – die ausgediente Garde sollte demnächst entsorgt werden. Stucki war an den alten Zeitschriften interessiert für ihre kreative Arbeit mit Junk Journals – nicht am alten Kriegspielzeug. «Gerade hatte der Ukraine-Krieg begonnen, wir fühlten uns alle paralysiert», so Stucki. «Meine Bekannte war aber beharrlich und erzählte mir davon, dass die ganze Sammlung in kleine Boxen und kleinste Schächtelchen aufgeteilt sei, die Soldaten eingebettet in Papier und Holzwolle, alles aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.» Das alte Papier und die Verpackungen machten die Künstlerin hellhörig. Stucki griff zu, mit dem Gedanken, die Zinnsoldaten dann zu entsorgen. «Keiner interessierte sich dafür, weder Sammler noch Antiquariate.»

Doch es kam anderes und einmal mehr bracht die Künstlerin in Regula Stucki durch und ihre kreative Ader setzte sich durch: «Als ich den ersten Zinnsoldaten auspackte, griff meine Hand wie von selbst nach einer kleinen Beisszange. Schnipp, die Waffe war weg.» Sie übermalte die Uniform des zweiten zwei Zentimeter grossen Männchens mit Farbe, er erhielt ein Zirkuskostüm. Der nächste wurde zur Tänzerin. Der dritte Soldat hielt ein Marshmallow über ein Feuerchen – damit hatte er in seinem vorderen Leben eine Kanone geputzt.

Die Umwandlung dauert mehr als zwei Jahre: Erst kreierte Stucki kleine individuelle Situationen mit einem oder mehreren der entwaffneten Krieger. «Beim Besuch der Biennale in Venedig sah ich vor meinem geistigen Auge eine lange Reihe von Friedenskriegern durch den Schweizer Pavillon ziehen», erinnert sich die gebürtige Luzernerin. So machte sie sich zu Hause in ihrem Atelier unterhalb des Bundeshauses im Berner Quartier Marzili daran, alle verwandelten Soldaten in einen Zug einzureihen. Die Idee zum Projekt «Wir ziehen in den Frieden» war geboren.

«Wir ziehen in den Frieden»
Der Gestaltungslehrer und Kunstschaffende Oliver Lanz erklärte sich spontan bereit, mit acht Klassen vom Gymnasium Burgdorf mitzumachen. Dadurch gewann die Idee nochmals an Kraft und Grösse. «Ich besuchte die Klassen, erzählte vom Projekt und führte sie in die Arbeitsweise ein. Wir liessen den Schülerinnen und Schüler totale Freiheit bei der Ausgestaltung und sind begeistert, was dabei entstanden ist», freut sich Stucki. Die Zusammenarbeit mit Oliver Lanz und seiner Gemeinschaftsklasse war initiativ, spontan und ungeplant: «Als die Jugendlichen eine kleine Schachtel mit Zinnsoldaten auspacken durften, die länger als 50 Jahre verschlossen geblieben war, entstand eine richtig feierliche Atmosphäre.» Die Gestaltungsklassen von Oliver Lanz beteiligen sich übrigens mit weiteren vielfältigen Projekten an der Ausstellung und auch der Lehrer und Kunstschaffende präsentiert seine faszinierende Bilderwelt. «Wir ziehen in den Frieden» ist nur ein zentraler Teil von «Wir sind alle anders gleich».

In der Zwischenzeit bekam Stucki beim Entwaffnen und Verwandeln des Zinnheeres Unterstützung von Frauen, die sie in der Provence kennengelernt hatte. «Mich fasziniert immer wieder das Eigenleben des Projektes. Es entwickelt sich und gestaltet sich mit einer Selbstdynamik, der ich meine ganze Begeisterung und Schaffenskraft schenke», freut sich die Kunstschaffende. An der Ausstellung werden die Besuchenden aufgefordert, sich ebenfalls kreativ am Projekt zu beteiligen. «Es geht also nicht mehr um mein persönliches Unterfangen, sondern um eine stetig sich ausdehnende und wachsende partizipativen Kunst.»

Corinne Remund

www.regulastucki.ch


Kulturmühle Lützelflüh

Hunderte Zinnsoldaten ziehen in den Frieden
18.10. bis 3.11.2024 in der Kulturmühle Lützelflüh

Öffnungszeiten:
SA & SO 14 – 17 Uhr

www.kulturmuehle.ch

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